Königin Astrid von Belgien starb in der Schweiz (DE)

Königin Astrid starb bei einem Unfall am Vierwaldstättersee - Blick

Die Lady Di der 1930er-Jahre

Sie war der Star der Medien und kam bei einem Verkehrsunfall am Vierwaldstättersee ums Leben. Das Unglück wurde zum europäischen Grossereignis – dank eines Studenten und einer Pionierleistung von Piloten.

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Es ist Donnerstag, der 29. August 1935, der Himmel ist blau, nur einzelne Wolken sind an diesem letzten Ferientag zu sehen. Ideal für eine gemütliche Autofahrt um den Vierwaldstättersee.

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Um 9.20 Uhr schnurren die acht Zylinder des neuen Packard-Cabriolets mit edlen Weisswandreifen und belgischem Kennzeichen auf der Seestrasse zwischen Merlischachen SZ und Küssnacht SZ. Die Beifahrerin hat die Strassenkarte auf ihrem Schoss und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die imposanten Flanken der Rigi.

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Unfallauto-Astrid

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Da passiert es: Der Lenker ist kurz abgelenkt, er macht eine unkontrollierte Bewegung, der Wagen touchiert den etwa zwanzig Zentimeter hohen Bordstein. Der Packard donnert seitwärts gegen einen Birnbaum. Die Beifahrerin will aus dem Auto springen, doch da prallt es gegen einen zweiten Baum, die Frau und schliesslich auch der Fahrer werden herausgeschleudert.

Die schlimmen Folgen des Unfalls: Ein lebloser Frauenkörper liegt auf der Wiese, der Fahrer des Wagens – selbst an Gesicht und Arm verletzt – rennt zu ihr, nimmt sie in den Arm. Er küsst sie, redet auf sie ein, küsst sie wieder und wieder.

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Das Unglück zieht viele Schaulustige an. Nach ersten Erkundigungen erfährt die Polizei, dass der Lenker des Unfallwagens Leopold III., der König von Belgien, ist. Und bei der leblosen Frau handelt es sich um Astrid, Königin von Belgien.

Der Verkehrsunfall ist eine Tragödie, die rasend schnell in ganz Europa bekannt wird.

Sie, die junge, ungekünstelte Schönheit aus dem Norden, ist tot.

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Sie, die «Königin der Herzen», wie sie genannt wird. Die sich als liebevolle Mutter der drei kleinen Kinder Charlotte, Baudouin und Albert inszenierte. Die ihre Zuneigung zu ihrem Gatten ungeniert und öffentlich zeigte.

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Sie war ein grosses Thema für die Gazetten in ganz Europa. Und sie brachte ein geteiltes Land wie Belgien zum Jubeln.

Schaulustige pilgern zum Todesort

Wie später bei Lady Diana trauern ein ganzes Land und die vereinigte Presse um den Tod der Königin – Astrid war nicht einmal 30-jährig und eine Ikone, weil sie, als Prinzessin von Schweden, in einer Liebesheirat den belgischen Thronfolger geehelicht hatte. Das war eine Story, die man sich privat gerne erzählte und die auch die Medien gerne weiterverbreiteten.

Innerhalb von wenigen Stunden wird das Dorf Küssnacht am Rigi von Schaulustigen überrannt. Sogar Reisebusse fahren zum Unfallort: Tausende finden sich auf der engen Uferstrasse am Vierwaldstättersee ein, um die Unglücksstelle zu besichtigen. Souvenirjäger treten das Gras platt, reissen Grasbüschel mit Blutspritzern aus, schaben die Rinde vom Birnbaum. Der Abhang am See verwandelt sich mit den Blumenkränzen und Kondolenzbouquets in ein Blütenmeer.

Der Sarg der Königin ist bereits in die Villa Haslihorn in St. Niklausen LU überführt worden, wo die königliche Familie ihre Ferien verbrachte. Abends verlässt ein Sonderzug nach Brüssel mit den sterblichen Überresten den Güterbahnhof Luzern. Hohe Schweizer Militärs, Diplomaten und belgische Honoratioren reisen mit. Um 22.15 Uhr verlässt der merkwürdige Sonderzug die Stadt Luzern. Die Fahnen beim Bundeshaus und entlang der Bahnlinie stehen auf halbmast, an den Bahnhöfen versammeln sich Tausende Schweizerinnen und Schweizer, die den Sonderzug sehen und von Astrid Abschied nehmen wollen.

Der Paparazzo auf dem Fahrrad

Dass der Unfalltod so grosses Aufsehen erregt, hat mit dem weiteren Geschehen am Unglücksort zu tun. Einer der ersten Schaulustigen an der Unfallstelle ist Willy Rogg, ein 25-jähriger Student der Zahnmedizin. Er hat den Fotoapparat bei sich und erstellt sechs Aufnahmen: Sie zeigen das zerstörte Auto, die Unfallstelle und den Moment, als die Leiche der Königin eingesargt wird.

Rogg pedalt eilig nach Weggis LU, um die Fotos entwickeln zu lassen. Er verkauft seine Exklusivbilder für je hundert Franken der Nachrichtenagentur Associated Press, setzt sich auf Spesen in ein Taxi und fährt auf schnellstem Weg zum damals einzigen Flughafen der Deutschschweiz in Dübendorf ZH.

Nachdem ihm die Bildagentur Associated Press in London die Abnahme der Fotos garantiert hat, wird für 5000 Franken ein Flugzeug gemietet. Nur – es ist bereits dunkle Nacht. Soll die Swissair für die Paparazzo-Bilder den ersten Nachtflug ihrer Geschichte wagen? Weil die Piloten ihre Flugzeuge zu dieser Zeit vor allem auf Sicht fliegen, kommen solche Flüge nicht infrage.

Doch einer wagt es: Am Steuerknüppel sitzt nicht irgendein Pilot, sondern der ebenso legendäre wie populäre Walter Mittelholzer (1894–1937), technischer Direktor der 1931 gegründeten Swissair.

Solche Promi-Bilder wie die von Astrids Unfall sind ganz nach dem Geschmack Mittelholzers, der auch ein gewiefter und erfolgreicher Medienunternehmer ist. Er trifft sich gerne mit Prominenten aus Wirtschaft, Politik und Showbusiness. Weil er inzwischen mehr Manager und Bildervermarkter ist als Pilot, scheint ihm der Nachtflug trotz seiner Alpen- und Afrikaflüge nicht ganz geheuer. Deshalb bittet er fünf Minuten vor dem Start den erfahrenen Piloten Robert Gsell (1889–1946) an Bord. Gsell, wahrscheinlich der bessere Pilot als Mittelholzer, ist Weltrekordhalter im Dauerfliegen, Experte und ETH-Dozent für Flugwesen. Dieser findet es zwar ein wenig merkwürdig, für ein paar Bilder in der Nacht eine Douglas DC-2 zu starten – eine Maschine mit 14 Plätzen! Dennoch heben Mittelholzer und Gsell mit dem Schnellflugzeug um 21.35 Uhr in Zürich-Dübendorf ab.

Durch den Eisregen nach London

Trotz der Sommernacht ist es bitterkalt, auf der Flughöhe von 4500 Metern hat sich Eis an den Luftschrauben gebildet, die Kabinenfenster sind zugefroren. Plötzlich rieselt es, als würden Kieselsteine auf den Flugzeugrumpf prasseln – es ist Eisregen. Gsell erhöht die Drehzahl der Propeller, damit das Eis abgeschleudert wird. Via Kopfhörer rumort es wie in den Kindertagen des Rundfunks; der Flug ist alles andere als angenehm. Allmählich weichen die Wolken, und der Blick in die Tiefe zeigt den Ärmelkanal. Die Beruhigung ist gross, als die drehenden Lichtfinger des Flugplatzes von London zu sehen sind. Das Rollfeld ist erleuchtet, die Maschine setzt nach drei Stunden und zwanzig Minuten nachts um 0.55 Uhr weich auf und kommt zum Stehen. Schon Sekunden später entreisst ein Bote den Piloten die wertvollen Fotos und braust auf einem Motorrad davon.

 

Der erste Nachtflug der Swissair ist gelungen – und er führt dazu, dass die Unfallbilder aus Küssnacht auf der ganzen Welt Verbreitung finden. Denn die Nachrichtenagentur Associated Press in London setzt die neue Methode des Bildrundfunks ein. Dabei werden die Bilder in Töne umgewandelt und drahtlos übertragen. So kommt es, dass die Fotos der toten jungen Königin noch in der Nacht auf die Redaktionen in der ganzen Welt gelangen und bereits zum «Early Morning Tea» die Leserschaft erschaudern lassen.

Die Schweizer Flugpioniere Mittelholzer und Gsell sind stolz auf ihre Leistung. Nach kurzer Nacht laden sie englische Zeitungen mit «ihren» Fotos der verunglückten Königin in ihre DC-2. Erst dann fliegen sie in die Schweiz zurück, wo sie gegen Mittag ankommen.

Auch der Garagist will seinen Profit

Dort ist in der Zwischenzeit einiges passiert: Die Behörden in Küssnacht arbeiten weiter an dem Fall. Sie untersuchen den Unfall mit der gebotenen Präzision. Augenzeugen werden befragt, Mediziner verfassen einen Bericht über das Opfer, eine Karte des Unfallorts und eine Zeichnung des Unfallvorgangs werden erstellt. Auch das Cabriolet wird eingehend untersucht, alles war in perfektem Zustand, einschliesslich der Bremsen. Garagist Erwin Mühlemann-Tresch, bei dem das Autowrack eingelagert wird, weiss um die Attraktivität des zerstörten Wagens. Deshalb lässt er Journalisten und Fotografen einen Blick darauf werfen – aber nur gegen eine Gebühr von dreissig Rappen! Prompt beklagt sich die belgische Presse über den pietätlosen Geschäftemacher, und das Schweizer Aussenministerium muss dämpfend zum «beklagenswerten Verhalten des Garagisten» Stellung beziehen und die Wogen glätten.

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Bereits kurz nach dem Unglück ist den Schweizer Behörden klar, dass sich der Unfallort zur Gedenkstätte für Belgier und Monarchiefans aller Länder entwickeln könnte. Die Eidgenossenschaft ersteht die zwei Parzellen: Der eine Besitzer verkauft sie zum damals handelsüblichen Preis von 18 Franken pro Quadratmeter. Der andere wittert ein Geschäft und verlangt 50 Franken, sodass ihn der Bundesrat kurzerhand enteignet. Die Eidgenossenschaft übergibt den Unglücksort Volk und Krone von Belgien. Bereits ein Jahr nach dem Unfall steht am Gedenkort die Astrid-Kapelle. Astrid wird im dreiteiligen Glasmalereizyklus als selbstlose Märtyrerin verehrt, fast wie eine Heilige.

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Astrid-Kapelle heute in Küsnacht am Rigi.

Leopold III., der verwitwete König und Lenker des Unfallwagens, ist über den Tod seiner Gattin noch lange nicht hinweg. Seinen drei Kindern verbietet er, je über ihre Mutter zu sprechen, er lässt ihr Zimmer auf Schloss Laeken unberührt und bewahrt ihren blutverschmierten Rock auf. So verwundert es nicht, dass es Leopold nicht zur Eröffnung der Gedenkkapelle am Unfallort schafft; immerhin lässt er ihr einen Kranz niederlegen.

Beerdigung von Königin Astrid der Belgier (1935).

Funeral of Queen Astrid of the Belgians (1935).

Erinnerungen an Prinzessin Astrid von Schweden, Königin von Belgien.

Memories of Princess Astrid of Sweden, Queen of Belgium.